Psychologie
Das Klima und die Seele
Frühlingsgefühle, Herbstblues, Winterschlaf – Jahreszeiten, Wetter, Sonne, Temperatur und Licht können individuell Einfluss auf Stimmung und Antrieb haben. So zeigt auch der Wandel des Klimas insgesamt unterschiedliche Effekte auf die seelische Gesundheit. Darüber sprach die gb! mit Prof. Dr. Matthias Lemke, Ärztlicher Direktor der Heinrich Sengelmann Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik.
Welche direkten Folgen des Klimawandels beobachten Sie bei Ihren Patient:innen?
Der Anstieg der Durchschnittstemperaturen und andauernde Hitzewellen können zu Erschöpfung, Konzentrationsstörungen und erhöhter Stressempfindlichkeit führen. Untersuchungen zeigen hitzebedingt eine Zunahme von Aggressivität, Anspannung und Gereiztheit sowie eine Steigerung der Behandlungen in Notaufnahmen der Psychiatrie und Psychotherapie. Besonders vulnerabel sind hier Menschen mit zum Beispiel Suchterkrankungen oder Demenzen, die sich nicht selbstständig schützen können.
Wie verhält es sich mit Ängsten, die durch den Klimawandel ausgelöst werden?
Vielen Menschen, die selbst noch nicht direkt betroffen sind, bereitet der Klimawandel Sorgen und Zukunftsängste („eco distress“). Die Ängste entstehen dadurch, dass gedanklich eine düstere Zukunft als Folge von Klimawandel und Umweltzerstörung vorweggenommen wird.
Wer sich aktiv mit dem Thema auseinandersetzt und sich engagiert, stärkt seine Widerstandsfähigkeit.
Wie können Betroffene diesen Ängsten entgegentreten?
Während ein Teil der Betroffenen sich ohnmächtig und ausgeliefert fühlt, wird ein anderer Teil aktiv in der Auseinandersetzung mit dem Thema, engagiert sich im Klimaschutz und sucht sich Verbündete. Diese Aktivitäten wirken dem Gefühl der Machtlosigkeit entgegen. Für jeden einzelnen Menschen ist es wichtig, sich Kraftquellen zu suchen und so die eigene seelische Widerstandsfähigkeit zu stärken.
Wann wird aus einer gesunden Reaktion auf eine bedrohlich wirkende Zukunft unserer Umwelt eine seelische Erkrankung?
Spätestens wenn die Ängste so überwältigend werden, dass die Gedanken nur noch darum kreisen, Aufgaben des Alltags nicht mehr erfüllt werden können, der Schlaf gestört ist und sich daraus Depressionen entwickeln. Dann wird das Aufsuchen professioneller therapeutischer Hilfe sinnvoll und notwendig.
PROF. DR. MATTHIAS LEMKE
Ärztlicher Direktor der Heinrich Sengelmann Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik