Geschenk an das Leben

Foto: Suriyawut Suriya

146.000 Organtransplantationen gab es seit 1963 in Deutschland

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 2022

Organspende

Geschenk an das Leben

Organtransplantationen retten Menschen – das ist Fakt. Doch weshalb zögern viele, sich mit dem Thema zu beschäftigen? Dr. Ute Willenbrock, Anästhesistin und Transplantationsbeauftragte im BG Klinikum Hamburg, über Argumente, Aufklärung und die Angst – vor allem vor der eigenen Endlichkeit.

Von Wiebe Bökemeier

Häufig sind Spenderorgane die einzige Überlebenschance für schwerkranke Menschen. Viele können im Anschluss wieder – manche zum ersten Mal – ein nahezu normales Leben führen. „Für den Empfänger ist das größte Risiko, dass es zu einer Unverträglichkeit oder zu einer Abstoßung kommt“, erklärt Dr. Willenbrock. Um dieses Risiko zu minimieren, müssen Patientinnen und Patienten lebenslang Medikamente einnehmen, die das Immunsystem unterdrücken, was wiederum Nebenwirkungen haben kann. „Trotz dieser Risiken überwiegen die Vorteile einer Transplantation.“

Warten statt Erwarten

Hierzulande warten laut Deutsche Stiftung Organtransplantationen (DSO) rund 8.500 Menschen auf ein lebensrettendes Spenderorgan. Ungeachtet der Fortschritte in der Transplantationsmedizin und Aufklärungsarbeit sind die Spenderzahlen zu niedrig. Es gebe aber einen positiven Trend, was die Bereitschaft der Menschen angehe, so die Ärztin. Waren laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Jahr 2012 nur 22 Prozent der Befragten bereit zu spenden, waren es im Jahr 2022 bereits 40 Prozent. Doch das reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Der Mangel an Spenderorganen bleibt eine große Herausforderung, die durch Ängste und Unwissenheit noch verstärkt wird.

Diskussion ohne Verdrängung

Viele haben Vorbehalte, die oft auf tief verwurzelte Ängste zurückzuführen seien, ist Ute Willenbrocks Erfahrung im Klinikalltag. „Meist ist es die Berührungsangst mit der eigenen Endlichkeit. Die Konfrontation mit dem eigenen Tod ist für viele beängstigend, weshalb sie sich oft gar nicht erst damit beschäftigen.“ Das führt dazu, dass Menschen die Entscheidung für oder gegen eine Spende aufschieben. „Dabei liegt gerade in dieser Auseinandersetzung die Chance für mehr Offenheit und Diskussion: Je mehr Leute sich aktiv mit dem Thema befassen und mit ihren Familien darüber sprechen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie eine bewusste Entscheidung treffen.“ Und das dürfe, so die Ärztin, selbstverständlich auch ein Nein sein.
Wer unschlüssig ist, ob er eigene Organe spenden oder das eines Angehörigen freigeben möchte, sollte immer versuchen, sich in Betroffene hineinzufühlen, rät sie. Denn eines dürfe man nie vergessen: „Jeder von uns könnte in die Situation kommen, selbst darauf angewiesen zu sein.“

Aufklärung als Schlüssel

Um die Spendenbereitschaft zu erhöhen, ist also Aufklärung immens wichtig. Viele sind sich über den genauen Ablauf einer Organspende nicht im Klaren oder haben falsche Vorstellungen. „Kampagnen und Gespräche mit Fachleuten könnten dazu beitragen, Unsicherheiten abzubauen und die Menschen für die Bedeutung der Organspende zu sensibilisieren“, betont die Expertin. Das könnte auch die Diskussion um die Widerspruchslösung weiter vorantreiben. In Ländern wie Spanien oder Österreich ist diese Regelung längst etabliert, was zu höheren Spenderzahlen führt. Und auch in Deutschland werden Organe transplantiert, die aus Ländern mit der Widerspruchsregelung kommen (mehr Infos hierzu finden Sie unten rechts). „Ich finde die Widerspruchslösung grundsätzlich eine gute Idee“, so die Ärztin, „aber es ist in erster Linie wichtig, dass die Menschen sich aktiv für etwas entscheiden und mit anderen darüber sprechen.“ Solch eine bewusste Entscheidung sei hier der Schlüssel, unabhängig von der gesetzlichen Regelung.

Medizinisch und menschlich

Für Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, ist die Organspende nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein menschliches Thema. Die Transplantationsbeauftragten in den 1.200 Entnahmekliniken Deutschlands durchlaufen psychologische Schulungen. „Ich hatte zudem das Glück, dass ich viele Jahre Seite an Seite mit unserem Krankenhauspastor gearbeitet habe“, erzählt Dr. Ute Willenbrock. „Diese Erfahrung hilft mir dabei, Angehörigen in schwierigen Momenten zur Seite zu stehen und den Abschied von einem geliebten Menschen mit der Möglichkeit der Organspende zu verbinden.
Dass ein Mensch stirbt, ist immer ein Verlust. Doch seine Spende kann ein Geschenk an das Leben sein. Wer sich unsicher ist, ob er Organspender werden möchte, sollte nicht nur die Risiken bedenken, sondern auch die Chance, jemanden zu retten.“

Das Organspende-Register

Seit März 2024 gibt es ein neues Register für Gewebespende. Hierbei handelt es sich um ein elektronisches Verzeichnis, in das Sie Ihre Erklärung zur Organ- und Gewebespende eintragen können. Das Register bietet die digitale Möglichkeit, Ihre Entscheidung rechtlich verbindlich zu dokumentieren.
Der Eintrag ist freiwillig und kostenlos und kann jederzeit geändert oder gelöscht werden. Das Organspende-Register wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt.

Gut zu wissen: Organspendeausweis, Patientenverfügung oder andere schriftliche Erklärungen können weiterhin neben dem Organspende-Register für die Dokumentation der Entscheidung genutzt werden. Liegen mehrere Dokumente vor, so gilt immer das jüngste. Ausführliche Informationen und Erklärvideos zum Thema finden Sie auf www.organspende-register.de

Was ist die Widerspruchslösung?

Im internationalen Vergleich schneiden Länder wie Spanien, Österreich und Kroatien deutlich besser ab als Deutschland, wenn es um die Zahl der Organspenden geht. In diesen Ländern gilt die Widerspruchslösung:
Jeder ist automatisch Organspender, es sei denn, er widerspricht aktiv. Dadurch wird der Pool an potenziellen Spendern automatisch vergrößert. In Deutschland hingegen gilt die Entscheidungslösung: Hier muss sich jede:r bewusst dafür entscheiden, Organspender:in zu werden.

Expertin für diesen Artikel:

Dr. Ute Willenbrock, Anästhesistin und 
Transplantationsbeauftragte im BG 
Klinikum Hamburg

DR. UTE WILLENBROCK
Anästhesistin und Transplantationsbeauftragte im BG Klinikum Hamburg


Fotos: BG Klinikum Hamburg