Auf der Theaterbühne, im Film, beim Lesen oder Produzieren – seit Jahrzehnten ist Walter Sittler aus dem Deutschen Kulturbetrieb nicht wegzudenken. Im Fernsehen ist er aktuell wieder als Kommissar Robert Anders zu sehen. Mit uns hat er gesprochen über seine Kindheit, sein Lieblingsprojekt und wie gut es tut, in Ruhe in die Welt zu schauen und sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.
Herr Sittler, welche Zufälle in Ihrem Leben haben Sie zum gegenwärtigen Walter Sittler gemacht?
Das beginnt wohl mit der Familie, in die man hereingeboren wurde. Oder die man sich ausgesucht hat, um hineingeboren zu werden, je nachdem, wie man das betrachten mag.
Das, was die Familie, die Großeltern und die Eltern mitbringen, die Verhaltensmuster, der Umgang miteinander, die Kommunikationsfähigkeit, all das prägt einen ja sehr. Das bedeutet aber nicht, dass man das später nicht ändern könnte. Ist nur nicht so einfach.
Was hat Sie in Ihrer Familie denn am meisten geprägt?
Ich bin der Jüngste von acht Kindern. Da denkt man immer, das Nesthäkchen hat es gut und wird besonders verwöhnt. Das war bei mir nicht so. Ich musste immer schauen, wo ich bleibe. Meine Geschwister haben mich zwar oft mitgenommen, aber die konnten natürlich mehr als ich. Ich war ja der Kleinste. Das, denke ich, war wohl meine erste prägende Rolle.
Waren Sie ein schüchternes Kind oder eher eines, das gerne Aufmerksamkeit auf sich zieht?
Total schüchtern. Öffentlichkeit war mir nie angenehm, ich habe sie auch nicht gesucht. In der Schule war ich zwar öfter Klassensprecher – aber nur weil sich niemand anders fand und nicht, weil ich mich vorgedrängt hätte. In dem Zusammenhang muss ich an meine Mutter denken. Eine sehr starke Frau. Da machte man das, was dran war. Und wenn sich keiner fand, dann machte man das eben selber.
Wo sind Sie aufgewachsen?
Wir sind recht oft umgezogen. Ich habe allein acht verschiedene Schulen besucht. Das muss man nicht schlimm finden. Blöd war vielleicht, dass ich keine langen Freundschaften haben konnte, weil ich dafür nicht lange genug an einem Ort war.
Und wo fühlten Sie sich zuhause?
Die vielen Umzüge haben mich sicherlich geprägt. Ich kann mir ein Heimatgefühl zwar gut vorstellen – ich habe es selbst aber nicht. Meine Frau dagegen schon. Sie ist im Schwarzwald geboren hat dort ihre ersten 17 Jahre verbracht. Das ist schön. Es hat eine emotionale Seite, die ich so nicht kenne. Das ist aber nicht unbedingt negativ. Heimat kann sicherlich etwas Schönes sein, kann aber auch nicht so schön sein – so wie alles: Es gibt nichts, was nur gut ist.
Sie arbeiten ja wirklich viel. Auch dem Theater bleiben Sie treu.
Ja, ich mache zwar auch Filme, aber beruflich ist das Theater meine Heimat, wenn man sowas überhaupt sagen will. Aber auch die anderen Sachen gehören dazu. Sie sind Teil des Berufs. So wie verschiedene süße Teilchen. Das Theater ist ein süßes Teilchen, der Film ist ein süßes Teilchen und die Lesungen sind ein süßes Teilchen. Das eine mit Kirschen, das andere mit Pflaumen und das dritte mit Äpfeln, wenn sie so wollen. Letztlich ist das aber alles eins.
Anfang Oktober sind Sie als Kommissar Robert Anders ins Fernsehen zurückgekehrt. In der ZDF Mediathek findet sich „Der Kommissar und der See“.
Richtig. Der Kommissar ist eigentlich in Rente und kehrt dahin zurück, wo er aufgewachsen ist. Nach Lindau an den Bodensee. Die Fälle sucht er sich ja nicht, die fallen ihm vor die Füße. Er lernt dort eine Kommissarin kennen, die ist die Tochter seiner Jugendliebe. Und sie ermittelt in einem Fall, in den er unfreiwillig verstrickt ist. Es folgen etliche Verwicklungen – aber ich will nicht zu viel verraten.
Und auch der Dokumentarfilm gehört zu Ihnen. Sie haben mit Ihrer Frau zusammen „Nicht ohne uns“ herausgebracht.
Ein Herzensprojekt. Die Idee ist, dass wir in jedem Land der Welt, wenn wir genügend Geld zusammen kriegen, ein Kind portraitieren. In 35 Länder waren wir schon. Daraus ist der Dokumentarfilm „Nicht ohne uns“ geworden.
Und wir machen weiter. Im Oktober drehen wir in Serbien mit einer Roma. Damit beginnen wir eine neue Staffel, in der es nur um Mädchen geht. Wir lassen 14- und 15-jährige erzählen, wie es für sie ist in dieser Welt ein Mädchen zu sein. Wie es ihnen geht, wie sie sich selbst finden und die Schule und die Politik.
Wenn man sich tiefer damit befasst, dann merkt man, wie sehr die Kinder ein Spiegel sind von allem, was in der Welt passiert. Weil sie keiner Partei oder Organisation gegenüber verpflichtet sind. Weil sie ganz pur darüber sprechen, was sie sehen, was sie empfinden und was sie sich wünschen.
Uns hat übrigens noch nie ein Kind gesagt, auch nicht im ärmsten Land Bukina Faso, dass es nach Deutschland will oder überhaupt weg aus seinem Land. Dafür haben wir oft gehört: Ich will hierbleiben, ich will Parlamentarierin werden, ich will hier etwas ändern.
Die sind stark, die Kinder. Und sie wissen viel mehr, als wir ihnen zutrauen.
Sie haben sich schon 1997 zugetraut, Dr. Robert Schmidt, den Chefarzt in der mehrfach ausgezeichneten Serie Nikola, zu spielen. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Das war ganz einfach: Ich hatte mich als junger Mensch für ein Medizinstudium interessiert und zwei Jahre in einer Klinik in der Neurochirurgie und Computertomographie gearbeitet. Dort habe ich haufenweise Ärzte gesehen. Übrigens ist das, was ich da gespielt habe, nur ein kleiner Bruchteil dessen, was in der Wirklichkeit stattfindet.
Und wie kommen Sie in diese besonderen Stimmungen, die zur Rolle und Szene passt?
Wenn der Text gut geschrieben ist, dann geht das fast von alleine. Wenn man das viele Jahre macht, dann hat man ein Gespür für gute Texte, dann kann man sich in die emotionale Gedankenwelt hineinbegeben und kommt gut vorwärts. Und wenn man mit den Kollegen gut kann, eine gute Verbindung hat, dann schaukelt man sich auch gegenseitig hoch. Wenn man keine gute Verbindung hat, dann muss man‘s halt alleine machen. Das ist zwar nicht so schön, aber das geht auch.
Glauben Sie man kann sich in eine Stimmung versetzen, um beispielsweise gesünder zu werden?
Ich weiß nicht, ob man wirklich gesünder werden kann. Aber ich glaube, man kann das Glück, wenn man das so nennen will, einladen. Das gelingt nicht immer, aber wenn man die Zellen lächeln lässt, ist das einer psychischen und physischen Gesundheit vielleicht zuträglich.
Was kann man denn tun, um Zellen lächeln zu lassen?
Zum Beispiel kann man öfter raus gehen. In die Natur. Vielleicht in den Wald. Sich selber, seinem Körper Ruhe geben und nicht hektisch von einem Event zum nächsten hechten oder am Handy hängen. In Ruhe in die Welt schauen und sich selbst nicht so wichtig nehmen. Das hilft sehr.
Oder sich mehr mit schönen Dingen umgeben. Es gibt ja genügend Untersuchungen, die belegen: Wenn in Krankenhäusern die Zimmer schön sind, wenn die Aussicht gut ist, wenn die Pflegekräfte freundlich sind, dann werden die Leute schneller gesund.
Wenn man gut gepflegt wird, freundlich behandelt wird und dabei auch selber freundlich ist, dann tut das gut. Das heißt aber nicht, dass es dann gar keine Probleme mehr gibt, die wird’s sicherlich auch dann noch geben. Aber ich bin sicher: Wenn man als Mensch wahrgenommen wird und genauso alle anderen um sich herum als Menschen wahrnimmt, dann hilft das.
Das ist Walter Sittler
Walter Sittler, als Deutschamerikaner in Chicago geboren, besuchte von 1978 – 1981 die Otto Falckenberg Schule an den Kammerspielen München. Von 1981 bis 1988 war er am Nationaltheater in Mannheim engagiert und anschließend bis 1995 am Staatstheater Stuttgart. Die Karriere als Schauspieler im TV und einigen Kinofilmen begann 1995. Die Produktion „Nikola“ bei RTL erhielt u.a. den Grimme Preis und Walter Sittler den deutschen Fernsehpreis als bester Schauspieler in einer Comedy. Auch Serien wie „Girl Friends“, die Reihen „Ein Fall für den Fuchs“ und „Der Kommissar und das Meer“ haben ihn, neben vielen anderen Filmen, einem breiten Publikum bekannt gemacht. Daneben hat Walter Sittler nie die Bühne aufgegeben und gastiert seit Jahren mit diversen Theaterproduktionen und Lesungen in vielen Städten Deutschlands.
„Der Kommissar und der See“ hat am 3. Oktober 2022 um 20.15 TV-Premiere im ZDF.
Beitragsbild: © ZDF / Network Movie / Patrick Pfeiffer und ZDF / Network Movie / Georges Pauly