Entspannung an der Pipi-Front
Wenn Kinder und Jugendliche einnässen, erhalten sie im Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift Hilfe – dank der sogenannten Urotherapie. Im Interview empfiehlt Urotherapeutin Andrea Mühlbrecht-Lorenz betroffenen Eltern: „Bleiben Sie entspannt.“
Frau Mühlbrecht-Lorenz, Sie arbeiten seit zwölf Jahren als Urotherapeutin. Was verbirgt sich dahinter?
Vereinfacht gesagt: Wir kümmern uns um Kinder, die einnässen – ob am Tag oder in der Nacht oder beides. In der Regel gibt es die Möglichkeit, durch Verhaltenstherapie etwas zu ändern und das ist der Schwerpunkt der Urotherapie.
Die drängendste aller Fragen lautet für Eltern: Wann muss mein Kind trocken sein?
Bis zum Schuleintrittsalter mit fünfeinhalb, sechs Jahren ist das Einnässen durchaus noch normal. Häufig ist es der Druck aus dem Umfeld oder aus der eigenen Familie, schon vorher etwas zu ändern. Unsere wichtigste Botschaft lautet: Bleiben Sie entspannt! Es kommt durchaus vor, dass in jugendlichem Alter das Einnässen noch besteht – vor allem nachts.
Kann auch ein organischer Schaden die Ursache für das Einnässen sein?
Es gibt natürlich organische Ursachen, die wir dann im Rahmen der Kinderurologie am Wilhelmstift abklären und behandeln. Dem überwiegenden Teil der Kinder, die zu uns kommen, kann aber durch Verhaltenstherapie geholfen werden.
Was passiert bei der Urotherapie? Wie gehen Sie vor?
Am Anfang steht ein Telefonat mit den Eltern und eine Art Tagebuch, in dem zwei Tage lang unter anderem die Trink- und Urinmenge notiert wird. Hinzu kommt ein Beobachtungsprotokoll über 14 Tage. An einem Diagnostiktag analysieren wir dann mit Hilfe computerunterstützter Urinmessung und Ultraschall, wieviel Urin wie schnell und auf welche Weise ausgeschieden wird und ob es Restharn gibt. Mit den Kindern erarbeiten wir dann zusammen die weitere Vorgehensweise – die Verhaltenstherapie steht dabei im Vordergrund, unterstützt durch die Eltern. Bei Bedarf kommen im Verlauf Medikamente oder Hilfsmittel zum Einsatz, wie etwa eine spezielle Hose mit einem Sensor, der bei Feuchtigkeit klingelt.
Worin liegt die Verhaltenstherapie?
Unter anderem geht es um die Förderung des eigenen Körpergefühls. Die Kinder lernen, sich beim Toilettengang Zeit zu lassen und vor allem genug zu trinken. Denn dass die Kinder ihre Blase nicht spüren, liegt oft daran, dass sie zu klein ist. Durch das Trinktraining dehnt sie sich aus.
Den meisten ist das Thema peinlich, oder? Was tun Sie dagegen?
Wir behandeln die Kinder am Diagnostiktag nicht einzeln, sondern stellen bewusst immer zwei Kinder so zusammen, dass es vom Alter her passt. Sie sehen dann, dass sie nicht allein mit dem Problem sind und sich austauschen können. Im Laufe des Tages erkennen die Kinder, dass sie selbst etwas tun können. Meistens haben die Eltern den größeren Leidensdruck als die Kinder. Leider ist das Einnässen immer noch ein Tabu-Thema. Aber wir arbeiten daran.
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