Gastroenterologie
Vom Bauchgefühl zur Detektivarbeit
Wenn lang anhaltende Schmerzen, Blähungen oder Durchfall trotz Diagnostik ohne Befund bleiben, können Betroffene regelrecht verzweifeln. Und genau da setzt die Gastroenterologische Tagesklink am Israelitischen Krankenhaus an.
Von Wiebe Bökemeier
Alle, die dort einchecken, haben zwei Dinge gemeinsam: eine unklare Ursache und ein klares Motiv. Sie wollen endlich, oft nach langjährigen Beschwerden oder einem Ärztemarathon, eine Diagnose und eine passende Behandlungsmethode erhalten. Priv.-Doz. Dr. Jutta Keller leitet die Tagesklinik und die Abteilung Funktionsdiagnostik und leistet täglich Detektivarbeit. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen sind hoch spezialisiert und arbeiten mit Methoden, von denen einige bundesweit nur in dieser Klinik angeboten werden, so zum Beispiel aufwendige Sondenuntersuchungen von Dünn- und Dickdarm, die stationär durchgeführt werden.
In der Puste
Unser Atem kann sehr viel über unser Inneres verraten. „Bei Bauchschmerzen, Übelkeit, Blähungen und Durchfällen können wir mit mithilfe spezieller Atemtests Erkrankungen wie eine Kohlenhydratintoleranz, eine bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms, eine Bauchspeicheldrüsenunterfunktion oder eine Magenentleerungsstörung nachweisen“, erklärt Dr. Jutta Keller.
Im Blick
„Bei Schluckstörungen, Erbrechen oder Verstopfung kommen bei uns besondere Sonden zum Einsatz, um starken Refluxbeschwerden sowie Bewegungsstörungen der Speiseröhre, des Magens oder des Darms auf den Grund zu gehen“, so die Ärztin. „Und auch, wenn wir dabei keine relevanten Auffälligkeiten finden, sind diese Untersuchungen sehr wichtig, zum Beispiel um Diagnosen wie Reizdarm oder -magen zu sichern.“
Aus dem Bauch heraus
Nicht immer führt die Detektivarbeit von Kellers Team auch zu einem Täter. Aus einem einfachen Grund: Weil es gar nicht immer eine schwerere Erkrankung gibt. „Ich hatte vor einigen Monaten eine junge, gesunde Patientin, die seit Monaten unter Beschwerden litt“, erinnert sich Keller. „Sie klagte unter anderem über starke Blähungen, die sie vor allem am Arbeitsplatz sehr belasteten. Sie flog extra aus Düsseldorf nach Hamburg, um eine Diagnostik durchführen zu lassen.“ Im ersten Schritt stellte die Gastroenterologin ihr Fragen über ihren Lebensstil und ihre Ernährung. Alles klang nach gesundem Verhalten. Doch Dr. Jutta Keller hatte ein Bauchgefühl, das ihr signalisierte: Da musst du nochmal nachhaken. Nachdem sie sich den Speiseplan ganz detailliert angesehen hatte, kam sie zu dem Ergebnis, dass die Frau schlicht zu viele Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte aß. „Die meisten Fälle sind natürlich deutlich komplexer“, sagt sie. Aber auch dieses Beispiel zeigt, dass man Bauchschmerzen niemals auf die leichte Schulter nehmen sollte – und dass Betroffene und Mediziner:innen immer auf ihr Bauchgefühl hören sollten.
Expertin für diesen Artikel:
DR. JUTTA KELLER
Leitung der Tagesklinik und der Funktionsdiagnostik, Israelitisches Krankenhaus Hamburg
Fotos: mentalmind, Christina Clasen