Die Generation „Schweigen“
Über ein Jahr Krieg, verbunden mit Existenzsorgen: Das löst insbesondere bei der Generation der „Kriegskinder“ Ängste sowie körperliche Reaktionen aus. Wie kommt es dazu und was kann man tun?
Schlaganfälle, Bronchitis oder Erkrankungen der Herzkranzgefäße kommen bei Menschen, die ein Trauma erlebt haben, dreimal häufiger vor als bei Nicht-Traumatisierten. Aber auch Diabetes mellitus, schwere Depressionen sowie Unruhe- und Angstzustände werden mit negativen, traumatischen Kindheitserfahrungen in Zusammenhang gebracht.
Frühe Belastungen machen krank
„Insbesondere bei Menschen, die schon vor ihrem Spracherwerb traumatisierende Erfahrungen gemacht haben und sich noch nicht mitteilen konnten, sind diese Erlebnisse sozusagen im Langzeitgedächtnis des Körpers gespeichert und wirken destabilisierend auf das Immunsystem“, erläutert Dr. Claas Happach, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf. Denn die (eigentlich) sinnvollen Bewältigungsreaktionen wie erhöhter Herzschlag und Blutdruck, schnellere Atmung, erweiterte Bronchien, seelische Anspannung, mit denen der Organismus auf extremen Stress reagiert, können sich in den Körper einschreiben und auf Dauer zu verschiedensten Erkrankungen führen.
Wirkungen des Ukraine-Krieges
Unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges komme es bei der sogenannten „Kriegsgeneration“ nun vermehrt zu Symptomen wie Herz-Kreislauf-Problemen, Schlafstörungen, Nervosität, die nicht direkt auf körperliche Ursachen zurückgeführt werden können. Aber durch die aktuellen Kriegsgeschehnisse werden die präverbalen Erinnerungsspuren an den selbst erlebten Krieg, die oft erfolgreich verdrängt sind, wieder aktiviert und führen zu physischen Reaktionen. In vielen Fällen trete der Zusammenhang zwischen Beschwerden und eigenem Trauma allerdings erst durch Nachfragen zutage. Und auch dann hören Dr. Happach und seine Kolleg:innen nicht selten Antworten wie „So schlimm war das gar nicht.“, „Das haben doch alle erlebt.“ oder „Darüber habe ich noch nie geredet.“
Immer hilfreich: Über das Erlebte sprechen
Dieser Generation falle es nicht leicht, über frühe Erlebnisse zu sprechen. Denn damals ging es vielmehr um Wiederaufbau und Handeln als um das eigene Schicksal, das geprägt war von Flucht und Vertreibung, Verlust, real erlebtem Grauen. „So war das eben“, lautet ein typischer Ausspruch. Umso wichtiger sei ein behutsamer Umgang mit den Patient:innen, so der Chefarzt. Gleichzeitig appelliert er aber eindringlich: „Niemand ist zu alt, dieses Thema anzugehen und für die eigene Gesundheit zu sorgen. Auch mit 90 oder 95 kann man einen Anfang machen!“ Denn in diesem Fall gilt: Reden ist Gold!
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