Illustration einer Frau mit besorgtem Gesichtsausdruck, die ihre Hände schützend vor ihren Unterbauch hält. Der Hintergrund ist in warmen Gelb- und Orangetönen gestaltet, mit dezenten pflanzlichen Elementen. Symbolisiert gesundheitliche Beschwerden oder Intimitätsthemen.

Läuft bei Ihnen?

Foto: molotoka

Titelthema Adipositas

Läuft bei Ihnen?

Zu viele Kilos belasten auch die Blase. Wie Adipositas das Risiko für eine Harninkontinenz erhöht und ob und wie man die Kontrolle zurückerobern kann, erklärt Dr. Martin Neuß, Chefarzt in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf.

Von Wiebe Bökemeier

Was viele nicht wissen: Starkes Übergewicht kann nicht nur die Gelenke oder das Herz belasten, sondern auch zu ungewolltem Urinverlust, der sogenannten Stressinkontinenz, führen. „Eine Frau mit massivem Übergewicht hat ein fast vier- bis fünffach erhöhtes Risiko im Vergleich zu Frauen mit einem BMI unter 25“, erklärt Dr. Martin Neuß.

Kein Grund für Scham

Trotz der Häufigkeit des Problems sprechen viele aus Scham nicht darüber. „Es ist ein Volksleiden, das oft versteckt wird. Fast die Hälfte der Frauen über 50 hat gelegentlich mit Inkontinenz zu tun“, so der Gynäkologe. Männer sind kaum betroffen, weil sie einen längeren Harnweg und eine Prostata haben, was eher zu Harnverhalt führt. Außerdem gebären sie keine Kinder, was den Beckenboden bei Frauen zusätzlich belastet.

Anatomische Ursachen

Das Problem bei der Stressinkontinenz liegt vor allem in den körperlichen Veränderungen durch das Übergewicht. Dadurch werden die Strukturen, die die Harnröhre und den Beckenboden stützen, geschwächt. „Stressinkontinenz ist vorwiegend anatomisch bedingt. Der stabilisierende Bindegewebsapparat im Beckenboden wird schwächer und die Harnröhre kann den Urin nicht mehr richtig zurückhalten“, erläutert Neuß. Im Ultraschall sei dies deutlich zu sehen, „wenn eine Patientin hustet oder niest: Die Harnröhre öffnet sich wie ein Trichter. Das ist typisch.“

Raus aus dem Teufelskreis

Auch Bewegungsmangel ist ein Faktor. „Übergewichtige neigen dazu, sich weniger zu bewegen, was auch die Beckenbodenmuskulatur schwächt. Das ist ein Teufelskreis.“ Doch es gibt wirksame Maßnahmen: „Schon Sport wie Spazierengehen und Schwimmen, gesündere Ernährung sowie gezieltes Beckenbodentraining, zum Beispiel in einer Physiotherapie, helfen, diese Spirale zu durchbrechen und langfristig die Blasenkontrolle wiederzuerlangen. Studien zeigen außerdem, dass schon eine Gewichtsreduktion von fünf bis zehn Prozent die Symptome deutlich verbessern kann.“

Wann sind Medikamente oder eine Operation notwendig?

Wenn die Beschwerden trotz Bewegung, Beckenbodentrainings und Gewichtsabnahme nicht besser werden, sei eine Operation eine Option, so Neuß. „Man kann Senkungen beheben und den Stützapparat der Harnröhre mit einem Vaginalband unterstützen. Das hat eine Erfolgsrate von etwa 95 Prozent.“
Von Produkten aus der Drogerie hält der Experte nichts: „Für keines dieser Mittel gibt es relevante Studien, die eine Wirksamkeit belegen.“
Sein Rat: „Es ist nie zu spät. Werden Sie aktiv. Dann haben Sie gute Chancen, die Kontrolle über die Blase zurückzuge- winnen, und auch wieder mehr Lebensqualität.“

Gut zu wissen

Im Gegensatz zu einer Dranginkontinenz tritt bei einer Stressinkontinenz der unfreiwillige Verlust von Urin ohne vorherigen Harndrang auf. Bei der Dranginkontinenz kommt es zu einem plötzlichen, starken Harndrang, der sich nicht zurückhalten lässt, woraufhin unfreiwillig Urin abgeht.

Experte für diesen Artikel:

Porträt von Dr. Martin Neuß, einem Arzt in weißem Kittel, lächelnd mit verschränkten Armen, vor einem warm beleuchteten, professionellen Hintergrund.
DR. MARTIN NEUß

Chefarzt in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf


Fotos: Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf