„Die meistunterschätzte Krankheit in Deutschland“
Fast jeder Mensch leidet im Leben einmal unter Rückenschmerzen. Doch eine bestimmte Ursache dafür findet nur selten Beachtung – die Spinalkanalstenose. Prof. Dr. Jörg Ohnsorge, niedergelassener Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Operateur in der Facharztklinik Hamburg, erklärt im Interview, was das Krankheitsbild ausmacht und warum es sich dabei um eine oftmals unterschätzte Gefahr handelt.
Was ist eine Spinalkanalstenose überhaupt?
Bei einer Spinalkanalstenose liegt eine Verengung des Wirbelkanals, in dem das Rückenmark beziehungsweise die Nervenfasern verlaufen, vor. Sie tritt meist im Bereich der Lendenwirbelsäule auf. Die Stenose klemmt die Nervenfasern ein, was bei Bewegung zu Schmerzen und neurologischen Ausfallerscheinungen führen kann.
Wie kommt es zu einer solchen Verengung?
Sie ist eine typische Folge des Alterungsprozesses. Zu den häufigsten Ursachen zählt Arthrose der angrenzenden kleinen Wirbelgelenke. Dabei kommt es zum Gelenkerguss und zur Schwellung der Gelenkkapsel, die zur Ausbildung von knöchernen Höckern führen. Diese können in den Spinalkanal wachsen, so den Nerven Platz nehmen und sie dadurch einschränken. Aber auch Wirbelgleiten, also die Verschiebung einzelner Wirbel aufgrund einer Instabilität der Wirbelsäule, gilt als Ursache.
Unter welchen Beschwerden leiden Ihre Patient:innen häufig?
Neben Schmerzen im unteren Rücken berichten Patient:innen über schwache und schwere Beine, oft mit Kribbeln oder Taubheitsgefühlen. Typisch ist eine Besserung beim Vorbeugen beziehungsweise im Sitzen. Auch können Betroffene meist keine langen Strecken laufen und müssen nach wenigen Metern stehen bleiben. Treppensteigen erweist sich ebenfalls als problematisch. Die Gefühlsstörungen und Kraftlosigkeit durch den Funktionsverlust der Nerven treten mitunter plötzlich auf, sodass das Stolper- und Sturzrisiko sehr hoch ist.
Das heißt also, der Schmerz ist tatsächlich nicht das schlimmste Symptom?
Ich bin der Meinung, dass es sich bei der Spinalkanalstenose um die meistunterschätzte Krankheit in Deutschland handelt, eben nicht wegen der Intensität der Schmerzen, sondern vielmehr aufgrund möglicher dramatischer Folgen einiger Symptome. Die motorischen Störungen und Lähmungserscheinungen führen in vielen Fällen zu Stürzen mit hohem Verletzungsrisiko, besonders für ältere Menschen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Treten keine neurologischen Ausfallerscheinungen wie ein Kontrollverlust über die Beine auf, helfen neben einer Schmerzmitteleinnahme oder lokalen Injektionen auch Orthesen, also Stützgurte, sowie Physiotherapie dabei, Schmerzen zu lindern und die Körperhaltung zu verbessern. Bei ausgeprägten Symptomen mit Verletzungsgefahr sollte in Abwägung der Risiken allerdings eine Operation in Betracht gezogen werden. Denn das Risiko einer Operation ist weitaus geringer und kontrollierter als das langfristige Risiko eines Sturzes.
Wie läuft die Operation ab?
Über einen kleinen Zugang werden unter Verwendung spezieller mikrochirurgischer Werkzeuge knöcherne und weichteilige Wucherungen vorsichtig abgetragen, sodass diese nicht mehr auf die Nerven im Spinalkanal drücken. Der ganze Eingriff bedarf relativ kurzer Zeit und erfolgt minimal-invasiv unter dem Mikroskop. Der stationäre Aufenthalt dauert im Regelfall nur wenige Tage.
Worauf sollten Betroffene im Alltag achten?
Halten Sie sich beim Treppensteigen oder bei der Nutzung von Rolltreppen stets an den Handläufen fest. Gehen Sie nicht zu nah an der Bordsteinkante entlang und vermeiden Sie es, bei bereits laufenden Ampel-Grünphasen noch über die Straße zu eilen. Seien Sie auch vorsichtig beim Aussteigen aus Bussen und Bahnen. Und nicht zuletzt: Suchen Sie einen auf die Wirbelsäule spezialisierten Orthopäden auf.
Unter folgendem Link kommen Sie auf die Seite der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie!
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Beitragsbild: © Scie Pro / shutterstock